english

Flora domestica is a systematic, quasi-botanical mapping of the shadow world of the domestic flora. It is a systematization by the means of light and shadow of specimen collected by Tim Otto Roth on extended excursions in the Black Forest, but also on industrial wasteland or during his travels through Germany.

The artist relates with the resulting shadow herbarium to the tradition of the nature print (ger. Naturselbstdruck) and to works like the cyanotypes from the botanist Anna Atkins. But Roth even radicalizes the aspect of touching. Capturing the shadows on highly sensitive slide film is a quite tactile affair, because the plants need to be exposed on the film in absolute darkness. A photogrammatic innovation is to bring the exposing light in direct touch with the plants or to bend sheet film around the flowers, stems or leaves.

In flora domestica light doesn’t act anymore from a distant point, but gets in touch with nature. Much of this plant shadow pictures echo a particular amalgam of light, flower and light sensitive surface. The intimacy of that interwoven encounter is even reinforced by the enlargement of the resulting slides.


Deutsch


Agrimonia eupatorioa: "Naturselbstdruck" by Ernst Wilhelm Martius, from: Neueste Anweisung, Pflanzen nach dem Leben zu abzudrucken, 1784

Flora domestica ist eine systematische, an die Botanik angelehnte Kartierung der Schattenwelt der heimischen Flora. Der Prozeß beginnt mit dem Sammeln und Systematisieren: Fündig wird Tim Otto Roth auf ausgedehnten Exkursionen im heimischen Schwarzwald, aber auch auf der rheinischen Industriebrache oder unterwegs auf Reisen durch Deutschland.

Bei dem resultierenden Schattenherbarium knüpft er an die Tradition des Naturselbstdrucks oder an Arbeiten wie der Botanikerin Anna Atkins an. Roth radikalisiert aber den Aspekt der Berührung noch weiter. Seine Arbeiten sind zuvorderst ertastet. Da er die Schatten der Pflanzen auf hochempfindlichem Diafilm festhält, muß er in völliger Dunkelheit die Pflanzen auf dem Filmmaterial exponieren. Neu an seinem Vorgehen ist dabei, daß er bei vielen Motiven das Licht direkt an die Pflanzen ansetzt oder den lichtempfindlichen Filme nicht plan beläßt, sondern um das Motiv schmiegt.


cyanotype of British ferns by Anna Atkins, 1953

Auch Tim Otto Roth begreift seine Arbeit dokumentarisch. Seine Photogramme halten Spuren des Vergänglichen der heimischen Flora fest. Der Prozeß beginnt mit dem Sammeln und Systematisieren. Fündig wird Tim Otto Roth auf ausgedehnten Exkursionen im heimischen Schwarzwald, aber auch auf der rheinischen Industriebrache oder unterwegs auf Reisen durch Deutschland. Die Blüten- und Lichtnotationen werden systematisch bestimmt und mit den entsprechenden lateinischen Bezeichnungen sortiert. Diese in der Tradition des Pencil of Nature stehenden Arbeiten gehen aber über die reine wissenschaftliche Verwendbarkeit hinaus. Er nimmt das Photogramm als Berührungsmedium ernst und verlässt die sowohl für die Wissenschaft, als auch für die optische Photographie typische Distanz. Viele seiner Ergebnisse spiegeln ein eigenartiges Amalgam aus Licht, Blüte und lichtempfindlicher Oberfläche wieder. Das Licht agiert nicht mehr aus einem Abstand heraus, sondern geht in Tuchfühlung mit der Flora. Die Blüten werden nicht mehr nur von außen beleuchtet, sondern leuchten von innen heraus: Leuchtendes und Beleuchtetes verschmelzen miteinander. Flora domestica nimmt also den tendenziell pornographischen Charakter des Blumenmotivs wortwörtlich: Der Zyklus unterstreicht das Ineinandergehen (lat. coitus), das Verschmelzen des floralen Geschlechtsapparat mit Licht und lichtempfindlicher Oberfläche.


studio view
slide photograms enlarged on Ilfochromen Classic, each ca. 100 mal 80 cm , 1999-2001

Roth möchte diese Welt nicht als eine künstliche Welt verstanden wissen. Er beschwört keine generativen, produzierten oder surrealen Bildersphären. Äußerlich betrachtet glaubt man zwar, im Photogramm jenseitige Bildersphären zu betreten. Tatsächlich liegt diese befremdlich wirkende Lichtwelt viel näher als es zunächst scheint. Tim Otto Roth versucht nur, das Geschehen in jeder äußeren Schicht eines Gegenstandes, wenn er mit Licht in Berührung kommt, festzuhalten. Das Photogramm kommt also nicht aus der Ferne. Vielmehr waltet es als verborgener Untermieter mittelbar in der Welt der alltäglichen Dinge. Auseinandersetzung mit dem Photogramm bedeutet so nichts anderes als hinabzusteigen in das Souterrain jenseits der Oberflächlichkeit.


Calendula
slide photogram enlarged on Ilfochrome Classic, 100x80cm, 1999/2001

Wenn Roth seine Photogramme nicht mehr maßstabsgetreu eins zu eins abbildet, sondern vergrößert, so bricht er nur scheinbar mit seinen dokumentarischen Ambitionen. Roth möchte einen Gegenstand nicht so dokumentieren, daß man diesen wieder rückübersetzen kann in ein dreidimensionales Objekt. Er möchte vielmehr auf die eigenständigen, zweidimensionalen Erscheinungsformen eines Gegenstands aufmerksam machen. Durch die Vergrößerung radikalisiert er einerseits das Ausgesetztsein des Betrachters gegenüber einer Bildwelt, in der er sich nicht mehr zentralperspektivisch zurecht finden kann. Andererseits offenbaren die Photogramme eine ungeahnt Dichte und Fülle von Details. Der Betrachter bleibt so ständig zwischen Zurückweisung und bildlichem Sog hin- und hergeworfen.